2. Kapitel (19)
„Denkt daran“, sagte der ehrwürdige Florentiner, „daß ich Euch schätze und liebe, und wenn Ihr so werdet, wie Eure Talente und Tugenden es versprechen, werdet Ihr vielleicht mein Schwiegersohn.. Nun lebt wohl und vergeßt mich und die Meinen nicht!“
Seine Worte machten Castruccio Mut und ließen ihn seine Ängste vergessen. Er kehrte leichten Herzens zu seinem Vater zurück und dürstete noch mehr nach großen Taten. Und nachdem sein Vater ihm verziehen hatte, welche Sorgen er ihm gemacht hatte, vergingen die Tage für ihn wie immer mit herrlichen Zeitvertreiben.
Die Zeit verging und unser junger Edelmann bereitete sich auf seine künftige Laufbahn vor. Er stärkte seinen Geist durch Studien und seinen Körper durch schwere Arbeit. Seine Schritte waren fest wie die eines Menschen, der keine Furcht kennt und der ein Ziel, das er im Blick hat, nicht aus den Augen verliert. Seine Miene, bis dahin offen und liebenswert, war ernst geworden. Er wurde sechzehn und fragte sich, wie er sein Leben beginnen sollte. Er hoffte, daß sein Vater ihm nicht im Weg stehen würde, weil er die Einöde hinter sich lassen wollte. Wie ein junger Schwimmer, der von einem Felsen gestoßen wird und die Kraft einsetzen muß, von der er bis dahin nur geträumt hat, stürzte sich Castruccio ins Leben – aus der ruhigen Bucht auf das weite unberechenbare Meer hinaus, um zu schwimmen oder unterzugehen.
Sein Vater starb. Ein verheerendes Fieber, das von Handelsschiffen aus der Levante eingeschleppt worden war, wütete in der Stadt Ancona und Ruggieri war eines der ersten Opfer. Als die Krankheit bei ihm ausbrach, wußte er sofort, daß er sterben mußte, und er sah seinen Sohn voll liebevoller Besorgnis an. So jung hinaus ins feindliche Leben, voller Tatendrang, in der Blüte der Jugend, die so leicht und unwiderruflich abblätterte! Er hatte ihm verboten, sich ihm während der Krankheit zu nähern, die sehr ansteckend war, aber als er herausfand, daß Castruccio ihn insgeheim bediente, hielt er Widerstand für zwecklos. Er bat ihn nur, alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, und so verbrachten sie die letzten Stunden von Ruggieris Leben zusammen. Das Fieber war so hoch, daß kein wirkliches Gespräch möglich war, aber Castruccios sterbender Vater ermahnte ihn, seine früheren Lehren zu beherzigen. „Ich habe einen Brief geschrieben“, sagte er, „den du Francesco de Guinigi übergeben wirst. Er war einer meiner engsten Freunde in Lucca, vermögend und von guter Herkunft, aber jetzt ist er ebenso wie ich Exilant und hat in der Lombardei – in der Stadt Este – Zuflucht gesucht. Wenn er sich unter diesen harten Bedingungen noch die Großzügigkeit bewahrt hat, die ihn früher ausgezeichnet hat, wird der Verlust deines Vaters für dich weniger schwer sein. Geh zu ihm, mein Castruccio, und folge seinem Rat. Er wird dir sagen, wie du deine Zeit am besten nutzt, solange du aus deinem Land verbannt bist. Hör ihm mit der gleichen Ehrerbietung zu, die du mir immer erwiesen hast, denn er ist einer der wenigen weisen Männer auf dieser Welt, deren Eitelkeit und Nichtigkeit mir jetzt mehr denn je bewußt werden, da ich im Begriff bin, sie zu verlassen.“
Dann und wann wiederholte Ruggieri seine Bitten. Seine väterliche Liebe dauerte bis zu seinem letzten Atemzug, und als er starb, machte er ein Zeichen, daß sie sich im Himmel wiedersehen würden.
Castruccio war vom Kummer überwältigt, aber der Kummer wurde bald durch Schmerz zum Schweigen gebracht. Er hatte sich bei seinem Vater angesteckt und lag wenig später ebenso wie dieser auf dem Krankenbett. Aber im Gegensatz zu Ruggieri hatte er keine fürsorglichen Pfleger, die auf sein Fieber achteten und sich um ihn kümmerten. Alle ergriffen vor dem drohenden Tod die Flucht, und der Junge verdankte es nur seiner ausgezeichneten Konstitution, daß er sich wieder erholte.
Einen Monat nach dem Tod seines Vaters – er sah selbst mehr tot als lebendig aus – schleppte er sich aus seinem Zimmer, um die belebende Seeluft einzuatmen. Der Wind pfiff und ließ ihn erschauern, während der düstere Himmel ihn mit Niedergeschlagenheit erfüllte. Aber dieses Gefühl ging vorbei. Tag für Tag ging es ihm besser und mit Kraft und Gesundheit kehrte auch die jugendliche Lebensfreude zurück. Sein erster Gedanke war der glühende Wunsch, Ancona den Rücken zu kehren. Während seiner Krankheit hatte er bitter empfunden, daß viele, die er für gute Freunde gehalten hatte, sich nicht hatten sehen lassen. Als er in der Lage war, nach denen zu fragen, die er insgeheim als treulos beschimpft hatte, erfuhr er, daß sie tot waren. Die Pest hatte auch sie heimgesucht und zur Strecke gebracht. Er dagegen hatte sich – wenn auch schwer gezeichnet – wieder aufgerafft, als die tödliche Gefahr vorbei war. Diese Enttäuschungen und Verluste bedrückten ihn sehr und er erlebte das gleiche Gefühl, das uns in jedem Alter irreführt – daß er durch einen Ortswechsel seinen Kummer abschütteln könne. Die regnerische Jahreszeit hatte begonnen, aber er wollte seine Abreise nicht verschieben. Er nahm einen herzzerreißenden Abschied an den Gräbern seiner Freunde und seiner geliebten Eltern, die er nie wiedersehen würde, und verließ Ancona. Die Schönheit der Berge und die herrlichen Aussichten lenkten ihn eine Weile ab. Er durchquerte die Gegend, in der Hannibals Bruder Hasdrubal besiegt und getötet worden war – auf dem Berg, der immer noch seinen Namen trägt. Am Fuß des Berges strömt ein Fluß, und er war bewachsen mit Bäumen, deren Laub zu dieser Jahreszeit gelb und rot gefärbt hatte und die vom Herbstwind gezaust wurden, bis sie beinahe kahl waren. Nur ein wucherndes Gebüsch aus Stechpalmen brachte Leben in die Szene. Als er weiterritt, goß es in Strömen und die Hügel, jetzt in weiter Ferne, waren in dichten Nebel gehüllt. Im Osten erfüllte das ewige Murmeln der düsteren Adria die Luft. Castruccio hatte diese Landschaft schon einmal durchquert, aber viel schneller, als er auf dem Weg zur „Festa d’Inferno“ nach Florenz geritten war. Damals hatte sie ihr Frühlingskleid getragen, die Sonnenstrahlen waren auf die Berge gefallen und die glitzernden Wellen jagten einander. Castruccio erinnerte sich daran, und er starrte mißmutig in den Himmel, der sich unter dichten schwarzen Wolken verfinsterte. Das Wetter war so wechselhaft wie das Schicksal. Aber als er über die Veränderungen sinnierte, die seit seiner letzten Reise vor sich gegangen waren, wanderten seine Gedanken zu Euthanasia und blieben bei ihr.
Er kam durch viele Städte, in denen er keine Freunde hatte. Doch wenn er Schutz gebraucht hätte, hätte er ihn gefunden, denn mehrere dieser Städte wurden von Ghibellinen regiert, die ihn willkommen geheißen hätten. In Rimini herrschte damals der Mann von Francesca, deren tragisches Schicksal von Dante unsterblich gemacht wurde. Sie war tot, aber die Landbevölkerung sprach immer noch mit einer Mischung aus Mitleid und religiösem Entsetzen von ihr. Sie nannten sie das bezauberndste Geschöpf, das es je auf Erden gegeben hatte, doch sie wagten nicht, für ihre Seele zu beten, die der ewigen Verdammnis anheimgefallen war.
Castruccio reiste langsam weiter. Er war schwach und mußte oft Pause machen. Aber sein Geist fand allmählich zu seiner alten Stärke zurück und seine immer rege Phantasie malte sich seine Zukunft aus – voller Liebe, Ruhm und Erfolg. Als er allein war und kein strenger Blick seine Eitelkeit mißbilligen konnte, streckte er die Arme nach Norden, Süden, Osten und Westen aus und rief: „Bis dorthin – dorthin – dorthin – und dorthin soll mein Ruhm reichen!“ Und dann hob er mit fröhlichem Trotz den Blick zum Himmel: „Und sogar bis dorthin! Wenn man den rutschigen Hang zum Palast des ewigen Ruhms hinaufklettern kann, komme ich auch dahin.“
Er war noch ein Junge im siebzehnten Lebensjahr, als er das sagte. Viele seiner Träume sollten in Erfüllung gehen. Aber wäre er nicht glücklicher gewesen, wenn sie nicht wahr geworden wären und er unbekannt und dafür unbescholten in Vergessenheit geraten wäre? Seine Geschichte muß das Rätsel lösen.
Seine Worte machten Castruccio Mut und ließen ihn seine Ängste vergessen. Er kehrte leichten Herzens zu seinem Vater zurück und dürstete noch mehr nach großen Taten. Und nachdem sein Vater ihm verziehen hatte, welche Sorgen er ihm gemacht hatte, vergingen die Tage für ihn wie immer mit herrlichen Zeitvertreiben.
Die Zeit verging und unser junger Edelmann bereitete sich auf seine künftige Laufbahn vor. Er stärkte seinen Geist durch Studien und seinen Körper durch schwere Arbeit. Seine Schritte waren fest wie die eines Menschen, der keine Furcht kennt und der ein Ziel, das er im Blick hat, nicht aus den Augen verliert. Seine Miene, bis dahin offen und liebenswert, war ernst geworden. Er wurde sechzehn und fragte sich, wie er sein Leben beginnen sollte. Er hoffte, daß sein Vater ihm nicht im Weg stehen würde, weil er die Einöde hinter sich lassen wollte. Wie ein junger Schwimmer, der von einem Felsen gestoßen wird und die Kraft einsetzen muß, von der er bis dahin nur geträumt hat, stürzte sich Castruccio ins Leben – aus der ruhigen Bucht auf das weite unberechenbare Meer hinaus, um zu schwimmen oder unterzugehen.
Sein Vater starb. Ein verheerendes Fieber, das von Handelsschiffen aus der Levante eingeschleppt worden war, wütete in der Stadt Ancona und Ruggieri war eines der ersten Opfer. Als die Krankheit bei ihm ausbrach, wußte er sofort, daß er sterben mußte, und er sah seinen Sohn voll liebevoller Besorgnis an. So jung hinaus ins feindliche Leben, voller Tatendrang, in der Blüte der Jugend, die so leicht und unwiderruflich abblätterte! Er hatte ihm verboten, sich ihm während der Krankheit zu nähern, die sehr ansteckend war, aber als er herausfand, daß Castruccio ihn insgeheim bediente, hielt er Widerstand für zwecklos. Er bat ihn nur, alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, und so verbrachten sie die letzten Stunden von Ruggieris Leben zusammen. Das Fieber war so hoch, daß kein wirkliches Gespräch möglich war, aber Castruccios sterbender Vater ermahnte ihn, seine früheren Lehren zu beherzigen. „Ich habe einen Brief geschrieben“, sagte er, „den du Francesco de Guinigi übergeben wirst. Er war einer meiner engsten Freunde in Lucca, vermögend und von guter Herkunft, aber jetzt ist er ebenso wie ich Exilant und hat in der Lombardei – in der Stadt Este – Zuflucht gesucht. Wenn er sich unter diesen harten Bedingungen noch die Großzügigkeit bewahrt hat, die ihn früher ausgezeichnet hat, wird der Verlust deines Vaters für dich weniger schwer sein. Geh zu ihm, mein Castruccio, und folge seinem Rat. Er wird dir sagen, wie du deine Zeit am besten nutzt, solange du aus deinem Land verbannt bist. Hör ihm mit der gleichen Ehrerbietung zu, die du mir immer erwiesen hast, denn er ist einer der wenigen weisen Männer auf dieser Welt, deren Eitelkeit und Nichtigkeit mir jetzt mehr denn je bewußt werden, da ich im Begriff bin, sie zu verlassen.“
Dann und wann wiederholte Ruggieri seine Bitten. Seine väterliche Liebe dauerte bis zu seinem letzten Atemzug, und als er starb, machte er ein Zeichen, daß sie sich im Himmel wiedersehen würden.
Castruccio war vom Kummer überwältigt, aber der Kummer wurde bald durch Schmerz zum Schweigen gebracht. Er hatte sich bei seinem Vater angesteckt und lag wenig später ebenso wie dieser auf dem Krankenbett. Aber im Gegensatz zu Ruggieri hatte er keine fürsorglichen Pfleger, die auf sein Fieber achteten und sich um ihn kümmerten. Alle ergriffen vor dem drohenden Tod die Flucht, und der Junge verdankte es nur seiner ausgezeichneten Konstitution, daß er sich wieder erholte.
Einen Monat nach dem Tod seines Vaters – er sah selbst mehr tot als lebendig aus – schleppte er sich aus seinem Zimmer, um die belebende Seeluft einzuatmen. Der Wind pfiff und ließ ihn erschauern, während der düstere Himmel ihn mit Niedergeschlagenheit erfüllte. Aber dieses Gefühl ging vorbei. Tag für Tag ging es ihm besser und mit Kraft und Gesundheit kehrte auch die jugendliche Lebensfreude zurück. Sein erster Gedanke war der glühende Wunsch, Ancona den Rücken zu kehren. Während seiner Krankheit hatte er bitter empfunden, daß viele, die er für gute Freunde gehalten hatte, sich nicht hatten sehen lassen. Als er in der Lage war, nach denen zu fragen, die er insgeheim als treulos beschimpft hatte, erfuhr er, daß sie tot waren. Die Pest hatte auch sie heimgesucht und zur Strecke gebracht. Er dagegen hatte sich – wenn auch schwer gezeichnet – wieder aufgerafft, als die tödliche Gefahr vorbei war. Diese Enttäuschungen und Verluste bedrückten ihn sehr und er erlebte das gleiche Gefühl, das uns in jedem Alter irreführt – daß er durch einen Ortswechsel seinen Kummer abschütteln könne. Die regnerische Jahreszeit hatte begonnen, aber er wollte seine Abreise nicht verschieben. Er nahm einen herzzerreißenden Abschied an den Gräbern seiner Freunde und seiner geliebten Eltern, die er nie wiedersehen würde, und verließ Ancona. Die Schönheit der Berge und die herrlichen Aussichten lenkten ihn eine Weile ab. Er durchquerte die Gegend, in der Hannibals Bruder Hasdrubal besiegt und getötet worden war – auf dem Berg, der immer noch seinen Namen trägt. Am Fuß des Berges strömt ein Fluß, und er war bewachsen mit Bäumen, deren Laub zu dieser Jahreszeit gelb und rot gefärbt hatte und die vom Herbstwind gezaust wurden, bis sie beinahe kahl waren. Nur ein wucherndes Gebüsch aus Stechpalmen brachte Leben in die Szene. Als er weiterritt, goß es in Strömen und die Hügel, jetzt in weiter Ferne, waren in dichten Nebel gehüllt. Im Osten erfüllte das ewige Murmeln der düsteren Adria die Luft. Castruccio hatte diese Landschaft schon einmal durchquert, aber viel schneller, als er auf dem Weg zur „Festa d’Inferno“ nach Florenz geritten war. Damals hatte sie ihr Frühlingskleid getragen, die Sonnenstrahlen waren auf die Berge gefallen und die glitzernden Wellen jagten einander. Castruccio erinnerte sich daran, und er starrte mißmutig in den Himmel, der sich unter dichten schwarzen Wolken verfinsterte. Das Wetter war so wechselhaft wie das Schicksal. Aber als er über die Veränderungen sinnierte, die seit seiner letzten Reise vor sich gegangen waren, wanderten seine Gedanken zu Euthanasia und blieben bei ihr.
Er kam durch viele Städte, in denen er keine Freunde hatte. Doch wenn er Schutz gebraucht hätte, hätte er ihn gefunden, denn mehrere dieser Städte wurden von Ghibellinen regiert, die ihn willkommen geheißen hätten. In Rimini herrschte damals der Mann von Francesca, deren tragisches Schicksal von Dante unsterblich gemacht wurde. Sie war tot, aber die Landbevölkerung sprach immer noch mit einer Mischung aus Mitleid und religiösem Entsetzen von ihr. Sie nannten sie das bezauberndste Geschöpf, das es je auf Erden gegeben hatte, doch sie wagten nicht, für ihre Seele zu beten, die der ewigen Verdammnis anheimgefallen war.
Castruccio reiste langsam weiter. Er war schwach und mußte oft Pause machen. Aber sein Geist fand allmählich zu seiner alten Stärke zurück und seine immer rege Phantasie malte sich seine Zukunft aus – voller Liebe, Ruhm und Erfolg. Als er allein war und kein strenger Blick seine Eitelkeit mißbilligen konnte, streckte er die Arme nach Norden, Süden, Osten und Westen aus und rief: „Bis dorthin – dorthin – dorthin – und dorthin soll mein Ruhm reichen!“ Und dann hob er mit fröhlichem Trotz den Blick zum Himmel: „Und sogar bis dorthin! Wenn man den rutschigen Hang zum Palast des ewigen Ruhms hinaufklettern kann, komme ich auch dahin.“
Er war noch ein Junge im siebzehnten Lebensjahr, als er das sagte. Viele seiner Träume sollten in Erfüllung gehen. Aber wäre er nicht glücklicher gewesen, wenn sie nicht wahr geworden wären und er unbekannt und dafür unbescholten in Vergessenheit geraten wäre? Seine Geschichte muß das Rätsel lösen.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen