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3. Kapitel (9)

Das waren die ersten Gedanken, die Castruccio kamen. Aber bald stellte er fest, daß er in Guinigis Gesellschaft eine neue Welt kennenlernte, eine Welt, die nicht seine war, die er jedoch auch nicht kritisieren konnte. Sie war von einer einfachen und doch erhabenen Moral geprägt, die natürlich und nicht gekünstelt war. Guinigi dachte nur an die Pflicht der Menschen untereinander und kümmerte sich nicht um gesellschaftliche Unterschiede. Auch dem einfachsten Bauern begegnete er ohne Hochmut.

3. Kapitel (8)

Um die Wahrheit zu sagen – Castruccio war tief enttäuscht. Als er von der Stadt aus gesehen hatte, daß auf dem Turm des Schlosses eine bunte Flagge wehte und Sonnenstrahlen auf den Rüstungen der Wächter blitzten, als er das Klirren von Waffen gehört hatte, hatte er gehofft, daß sein künftiger Beschützer mit dem glücklichen Fürsten auf gutem Fuß stand. Er glaubte, daß er mehr Respekt vor Guinigi gehabt hätte, wenn dieser ein Mönch im benachbarten Kloster gewesen wäre und kein zufriedener Bauer – ein Bauer, dessen begrenzter Horizont nicht über die Weinreben und den Ochsenstall hinausreichte.

3. Kapitel (7)

In meinen Augen, die nicht mehr so feurig glühen wie deine, ist der Anblick der Natur und der friedlichen Bauern, die ihren Acker bestelle, viel schöner als eine Armee von Rittern, die in blitzenden Rüstungen vorpreschen, um die Felder mit Blut zu tränken und die Hoffnungen der Bauern zu zerstören. Aber das sind neue Lehren für dich, und vielleicht wirst du nie diese bescheidene Hütte dem prächtigen Schloß dort drüben vorziehen, wie ich es tue.“

3. Kapitel (6)

Bald schlug der Name eines Fremden an Arrigos Ohr, sein kleiner Sohn kam erfreut herbei, um ihn zu begrüßen, und brachte einen großen Korb Trauben und Feigen. Guinigi war sehr belustigt von dem offenkundigen Erstaunen, mit dem sein Gast die Erscheinung des Hauses und seines Herrn betrachtete. Er sagte: „Du betrittst das Haus eines Bauern, der das Brot ißt, das er mit eigenen Händen gebacken hat. Das ist eine neue Umgebung für dich, aber du wirst es sehr lehrreich finden.

3. Kapitel (5)

Als Castruccio ihn zum erstenmal sah, schaute er gerade liebevoll seinem Sohn zu, einem Kind von sieben Jahren. Der Kleine half den Bauern, denn die Weinlese war gerade beendet, und die letzten Arbeiten galten den vertrockneten Trauben. Der junge Mann hielt inne. Hätte Guinigi nicht trotz seiner einfachen Aufmachung eine gewisse Würde ausgestrahlt, hätte er nicht geglaubt, daß dies der Freund seines Vaters war – seines Vaters, der auch in der Verbannung nie vergaß, daß er Ritter und Soldat war. Er überreichte den Brief, und als Guinigi ihn gelesen hatte, umarmte er den verwaisten Sohn seines alten Kameraden und hieß ihn mit einer Gastfreundschaft willkommen, bei der Castruccio warm ums Herz wurde.

3. Kapitel (4)

Castruccio ritt den Hügel unmittelbar über der Stadt hinauf, um nach Guinigis Zuhause zu suchen. Der Herbstwind fegte über das Land und wirbelte das gefallene Laub der Kastanien durcheinander, und die vorüberziehenden Wolken warfen ihre Schatten darauf. Castruccio traf Guinigi an, der vor der Haustür saß. Es war eine niedrige Hütte, die man eher für das Heim eines Bauern gehalten hätte als für das eines Mannes, der in Soldatenlagern und Palästen aufgewachsen war. Guinigi war ungefähr vierzig Jahre alt, die Härten des Krieges hatten die Locken an seinen Schläfen vor der Zeit dünn werden lassen und ein paar Furchen in sein Gesicht gegraben, auch wenn es vor Wohlwollen strahlte. Die Intelligenz, die in seinen Augen funkelte, wurde von Sanftmut und Weisheit gemildert, und seine Miene war nicht mehr die eines Soldaten, sondern eher die eines Landmannes. Im Exil hatte er das Schwert gegen einen Pflug eintauschen müssen und war sehr zufrieden mit dieser Veränderung.

3. Kapitel (3)

Castruccio dachte an die Zukunft und hatte keine Freude an der winterlichen Landschaft, aber er war froh beim Anblick der Berge, die der Grund seiner Reise waren und immer deutlicher sichtbar wurden. Este liegt fast genau am Fuß der Euganeischen Hügel auf einem Abhang unter einem malerischen Schloß, hinter dem sich ein Kloster befindet. Im Hintergrund ragen die Hügel empor, von deren Höhen aus man die weite Ebene der Lombardei überblicken kann. Im Westen reicht sie bis an den fernen Apennin von Bologna und im Osten an das Meer und die Türme von Venedig.

3. Kapitel (2)

Die Landschaft verdankt ihre Schönheit ihrer herrlichen Flora – ihre wogenden Getreidefelder, die Alleen, an deren Bäumen sich wilder Wein emporrankt, sind eine Augenweide. Doch jetzt hatte der Herbst die Landschaft kahl werden lassen, und viele Felder standen unter Wasser, weil die Flüsse über die Ufer getreten waren.

3. Kapitel (1)

Castruccios Weg nach Este führte ihn durch Bologna, Ferrara und Rivigo. Es war nicht die beste Jahreszeit für einen Besuch in der Lombardei.

2. Kapitel (19)

„Denkt daran“, sagte der ehrwürdige Florentiner, „daß ich Euch schätze und liebe, und wenn Ihr so werdet, wie Eure Talente und Tugenden es versprechen, werdet Ihr vielleicht mein Schwiegersohn.. Nun lebt wohl und vergeßt mich und die Meinen nicht!“ Seine Worte machten Castruccio Mut und ließen ihn seine Ängste vergessen. Er kehrte leichten Herzens zu seinem Vater zurück und dürstete noch mehr nach großen Taten. Und nachdem sein Vater ihm verziehen hatte, welche Sorgen er ihm gemacht hatte, vergingen die Tage für ihn wie immer mit herrlichen Zeitvertreiben. Die Zeit verging und unser junger Edelmann bereitete sich auf seine künftige Laufbahn vor. Er stärkte seinen Geist durch Studien und seinen Körper durch schwere Arbeit. Seine Schritte waren fest wie die eines Menschen, der keine Furcht kennt und der ein Ziel, das er im Blick hat, nicht aus den Augen verliert. Seine Miene, bis dahin offen und liebenswert, war ernst geworden. Er wurde sechzehn und fragte sich, wie er sein Leben begin

2. Kapitel (18)

Am nächsten Morgen verließ Castruccio Florenz in Marcos Begleitung und mit gemischten Gefühlen – er war traurig, Euthanasia zu verlassen, und froh, daß er sie wiedergesehen hatte. Er verwahrte jedes Wort, das sie gesagt hatte, und jeden Blick ihrer schönen Augen wie Schätze in seiner Seele. Adimari hatte sich herzlich von ihm verabschiedet und gesagt, daß er ihn, so weit ein armer Blinder es vermochte, unterstützen würde. Falls sich eine Gelegenheit bieten sollte, die Verbannung aufzuheben, wollte er sie sofort nutzen. Die Güte seines gealterten Freundes rührte das Herz des Jungen und in späteren Jahren meinte er, daß dessen letzte Worte eine versteckte Botschaft enthalten hätten. Für ihn war es ein ernstes Versprechen, keine Luftblase der Betörerin Hoffnung.

2. Kapitel (17)

Euthanasia war noch ein Kind, als sie dieses Versprechen gab. Aber sie sah Castruccio, den Freund ihrer frühesten Kindheit, einen jungen Mann von hoher Geburt und wohlerzogen, als Ausgestoßenen und Exilanten vor sich, sie hatte gehört und gelesen, daß solche Unglücklichen nur wenige Freunde finden. Sie spürte, daß Castruccio eine tiefe Zuneigung zu ihr hegte und hoffte, daß ihr Versprechen ihm in schweren Zeiten helfen würde. Er erwiderte ernst: „Ich bin ein Exilant und kann dir nichts bieten – außer meiner Dankbarkeit. Doch wenn das Blatt sich wenden sollte, werde ich dein Freund sein, dein Ritter und dein Fels in der Brandung.“

2. Kapitel (16)

Diese herrlichen Stunden vergingen wie im Flug und am nächsten Morgen würden sie Abschied nehmen. Dieser Gedanke ließ die Blicke und Gespräche ernster werden. Castruccio wurde nachdenklich und sah seine Freundin an wie einen Schatz, den er verlieren würde – vielleicht für immer. Euthanasia war schweigsam, sie schaute zu Boden und wechselte mehrmals die Farbe, ein Zeichen, daß ihr etwas durch den Kopf ging, das sie nicht in Worte fassen konnte. Zuletzt hob sie den Blick und sagte: „Wir verabschieden uns morgen, Castruccio, wie wir es zuvor schon getan haben – für viele Jahre, fürchte ich. Aber es gibt zwei Arten von Trennung. Eine, bei der die Zeit die Vergangenheit auslöscht, wie es beim Tod der Fall ist, dem Abschied, der endgültig ist. Aber es gibt noch eine. Wenn wir die Erinnerung an den Abwesenden wachhalten und für ihn handeln, als sei er bei uns. Das geht nur unter Freunden, wenn der eine weiß, daß der andere auch an ihn denkt. Sich an einen Freund zu erinnern, ist fast so, als

2. Kapitel (15)

Castruccio war glücklich, als er zwischen Euthanasia und ihrem Vater saß. Beide behandelten ihn liebevoll und setzten alles daran, dem Exilanten Hoffnung zu machen. Sie sagten ihm, daß er sich auf den Augenblick freuen sollte, in dem er und sein Vater in Ehren in ihr Land zurückkehren konnten. Adimari sah die leuchtenden Augen und das eifrige Gesicht des Jungen nicht, aber er hörte sich zufrieden an, was er in Ancona machte, und begriff sofort, daß dieser junge Geist in der Gegenwart nicht schlief, sondern von der Zukunft träumte. Er ermutigte ihn, nach Ruhm und Ehre zu streben, und ermahnte ihn, den Lehren seines Vaters zu folgen.

2. Kapitel (14)

„Ich bringe Euren verbannten Freund“, sagte Marco, „Castruccio dei Antelminelli ist gekommen, um Euch zu besuchen.“ „Castruccio in Florenz!“ rief Euthanasia und umarmte ihn mit schwesterlicher Zuneigung. „Aber wie, mein lieber Freund, kommst du hierher? Ist dein Vater hier? Aber hier ist nicht der richtige Ort, um all diese Fragen zu stellen. Komm mit nach nebenan, niemand außer meinem Vater wird hereinkommen, und nun erzähl mir alles, was passiert ist, seit du Lucca verlassen hast!“ Castruccio starrte Euthanasia an und bekam nicht genug von ihrem Anblick. Es war nicht nur ihre Schönheit, die ihn faszinierte, sondern auch die Reife, die über ihre Jahre hinausging. Ihre Augen, die vor Freude leuchteten, schienen in seiner Seele zu lesen; er wollte sie reden hören, aber sie bestand darauf, daß er seine Geschichte zuerst erzählte – wie er in Ancona gelebt hatte und wie er nach Florenz gekommen war. Sie machte ihm sanfte Vorwürfe, weil er seinen Vater verlassen hatte, und sagte dann: „

2. Kapitel (13)

Das war die Erziehung, die Castruccios Freundin zuteil wurde, während er selbst unter der Leitung seines Vaters in Ancona alles gelernt hatte, was ein Ritter können muß. Und nun, nach drei Jahren Abwesenheit, sahen sie sich Florenz wieder. Sie hatten die Freundschaft, die sie einander als Kinder geschworen hatten, nicht vergessen. Als Marco seinen jungen Freund in Adimaris Palast brachte, waren sein Herr und die Gräfin gerade dabei, Besuch von einigen Anhängern der Guelfen zu empfangen. Er wußte, daß Zeit und Ort nicht geeignet waren, den jungen Ghibellinen zu präsentieren. Aber als sie die große Halle durchquerten, kam eine elfenhafte Gestalt aus einem gegenüberliegenden Zimmer – wie ein Stern, der hinter einer Wolke zum Vorschein kommt.

2. Kapitel (12)

Nirgendwo war die Freiheit glühender verehrt worden als in der Republik Florenz; die Guelphen rühmten sich dessen, daß ihr Kampf für die Freiheit es mit den glorreichen Schlachten der Antike aufnehmen konnte. Adimari hatte sich dieser Partei angeschlossen, weil er glaubte, in den Plänen der Anführer die Saat für Italiens Unabhängigkeit zu sehen. Er war immer ein eifriger Verfechter der Freiheit seiner Mitmenschen gewesen; aber die römischen Autoren fachten seine Leidenschaft noch an, und da er die kleine Gestalt zu seinen Füßen nicht sah, vergaß er oft das junge Alter seiner Gefährtin und sprach schwärmerisch von dem erhebenden Geist, den er in seinem Herzen spürte. Euthanasia hörte zu und verstand. Ihre Seele, geschaffen für alles Gute, leerte den Kelch, den ihr Vater ihr einschenkte, und ihre Augen leuchteten. Ihre jungen Gedanken eilten voraus in die Zukunft, zu der Hoffnung auf Freiheit für Italien, einer Wiederbelebung der Bildung und Frieden auf der ganzen Welt, wilde Träume, d

2. Kapitel (11)

Der behinderte Gelehrte konnte dieses liebevolle Angebot nicht ablehnen. Zu jener Zeit konnte jeder etwas Küchenlatein, aber Euthanasia lernte nun die geschliffene Sprache von Cicero und Virgil. Ein Priester aus einer benachbarten Gemeinde war ihr Lehrer, und der Wunsch, ihrem Vater Freude zu bereiten, machte sie unermüdlich. Nachdem die ersten Schwierigkeiten überwunden waren, verbrachte sie ganze Tage über diesen staubigen Manuskripten und las dem alten Mann vor, der doppelte Freude an den antiken Dichtern hatte, als er ihre Werke aus dem Mund seiner geliebten Euthanasia hörte. Diese Art der Bildung hatte eine enorme Wirkung auf ihren Geist, sie verfiel nicht den engstirnigen Vorstellungen ihrer Zeit, daß die Zeiten und die Welt eins seien, was so typisch für die Ungebildeten ist. Sie wußte von den Umwälzungen, die stattgefunden hatten, und die Gegenwart erschien ihr nur als eine kurze Zeit der Ruhe, dann würde es weitergehen und zu neuen Veränderungen kommen. Es beflügelte ihre Phan

2. Kapitel (10)

„Ich werde Euch nicht verlassen“, sagte Euthanasia eines Tages, als er ihr sagte, sie solle gehen und sich amüsieren. „Mir macht es am meisten Spaß, mit Euch zu reden. Ihr könnt nicht mehr lesen oder Euch mit den alten Pergamenten befassen, an denen Ihr immer solche Freude hattet. Aber sagt mir, lieber Vater, könnt Ihr mich nicht lehren, sie Euch vorzulesen? Ihr wißt, daß ich sehr gut lesen kann, und es macht mir die größte Freude, über den Liedern der Troubadoure und alten Chroniken zu brüten. Die sind natürlich in einer anderen Sprache geschrieben, aber die ist mir nicht völlig fremd, und wenn Ihr etwas Geduld mit mir habt, glaube ich, daß ich diese schwierigen Autoren verstehen kann.“