5. Kapitel (2)
Ihm stand wirklich die Welt offen: Plötzlich war er aus dem Leben herausgerissen worden, das er ein Jahr lang geführt hatte, heraus aus Komfort, Luxus und der Freundschaft eines mächtigen Monarchen, und war mittellos auf sich gestellt. Er hatte nicht einmal ein Pferd oder eine Lanze, wie sie Ritter bei Turnieren gewannen. Er dachte auch nicht ohne Reue an das Blut, das zum erstenmal an seinen Händen klebte. Er hatte einen Hieb bekommen, der nur mit Blutvergießen vergolten werden konnte. In Frankreich oder England hätte ein reguläres höfisches Duell den Streit entschieden, aber in Italien war das heimlich getragene Stilett die Waffe der Rache. Die Ermordung des einen wurde durch den Mord an einem anderen heimgezahlt. Die Liste der Sühnemorde war endlos lang und wurde von jeder Partei sorgfältig geführt; die eigenen Tagen wurden gerechtfertigt und die der Gegner verdammt. Aber auch wenn die Moralvorstellungen seines Landes Castruccio geprägt hatten, so war er doch noch jung und unverdorben und deshalb entsetzt, daß er den Tod eines Mitmenschen verschuldet hatte. Er saß auf einem Felsen an dem weiten Strand, der nach der Ebbe zurückgeblieben war, lauschte dem melancholischen Rauschen der Flut und vergoß bittere Tränen der Reue.
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