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4. Kapitel (10)

Atawel beschrieb Gavaston als einen Mann, der sich in Leibesübungen hervortat, dem es jedoch an Urteilskraft und Unternehmungslust fehlte. Er sagte, er sei eitel, habgierig und verschwenderisch, unverschämt zu Vorgesetzten und Gleichgestellten, tyrannisch zu denen, die im Rang unter ihm standen. Achtung erwies er nur dem König, nicht einmal die Königin konnte sich bei ihm in Respekt setzen. Er war durch die königliche Gunst zu Rang und Reichtum gekommen und legte eine Arroganz an den Tag, die selbst bei dem ersten Adligen des Landes nicht geduldet worden wäre. Er gab sich nicht damit zufrieden, seine Feinde auf dem Feld der Ehre zu überwinden, sondern strebte auch noch danach, sie lächerlich zu machen. Die Barone boten ihre ganze Macht auf, um ihn zu vernichten. Edward gab nach, aber bei der ersten Gelegenheit ließ er seinen Freund zurückkommen. Dieser hatte nichts dazugelernt und machte sich wieder Feinde, was ihm schließlich zum Verhängnis werden würde.

4. Kapitel (9)

Auch Atawel war ein Feind Gavastons. Als er seinem jungen Begleiter die politischen Verhältnisse Englands schilderte, beklagte er die Veränderung, die vor sich gegangen war. An die Stelle der geistreichen Gesprächsrunden des verstorbenen Königs waren die jungenhaften Vergnügungen und der Müßiggang seines Sohnes getreten.

4. Kapitel (8)

Sie sprachen über seinen Cousin Alderigo, einen reichen Kaufmann, der in London lebte und dank seiner Fähigkeiten Einfluß unter den englischen Adligen gewonnen hatte. Edward I. hatte Alderigo gekannt und geliebt, denn in jenen Tagen waren sich Könige nicht zu fein, sich mit Menschen aus gesellschaftlichen Schichten anzufreunden, von denen die Etikette sie eigentlich trennte. Der Kaufmann hatte jedoch seit der Thronbesteigung Edwards of Caernarvon alle Kontakte zum Hof abgebrochen. Er war der Freund seines männlichen Vaters gewesen, und die kindischen Vergnügungen des Sohnes waren ihm zuwider. Aber als die Barone von England Eduard ins Gebet nahmen und darauf bestanden, daß er Piers Gavaston ins Exil schickte, war Alderigo dabei und überredete den König zu diesem nötigen Zugeständnis.

4. Kapitel (7)

Er führte sein Leben nach eisernen Prinzipien und verdiente sich mit seinem Urteilsvermögen und unverbrüchlichem Mut Respekt. Doch er war nicht in der Lage, neue Wege einzuschlagen und wurde kein Abenteurer, wie Guinigi es gewesen war. Er verfügte über Vernunft und ein warmes Herz. Persönliches Unglück hatte seine ohnehin ernste Natur melancholisch werden lassen. Doch er vertrieb die Wolken, die sein Gemüt verdunkelten, für eine Weile und zeigte reges Interesse an den Ansichten und Erwartungen von Castruccio.

4. Kapitel (6)

Castruccio hatte nun einen Begleiter, der anders war als der, dem er soeben Lebewohl gesagt hatte. Atawel war ein weltlicherer Mann als Guinigi und hatte nicht dessen überragende Intelligenz.

4. Kapitel (5)

Sie nahmen Abschied. Atawel und Castruccio brachen mit ein paar Begleitern in Richtung Mailand mit Ziel England auf.

4. Kapitel (4)

Er sagte: „Es ist für dich ein fremdes Land mit unbekannten Sitten und Gebräuchen und ohne Führung würde es dir schwerfallen, dich zurechtzufinden. Mein lieber Castruccio, Gott allein weiß, was die Zukunft für dich bereithält, aber dein Vater hat dich meiner Obhut anvertraut, und ich wünsche mir sehr, daß du dein neues Leben unter guten Vorzeichen beginnst und eine unbeschwerte Jugend genießt. Sei Atawel gegenüber genauso, wie du immer zu mir warst. Dein Charakter vereint Unterwürfigkeit und Unabhängigkeit. Atawel ist sanftmütig und anspruchslos, du mußt seinen Rat beherzigen, denn er wird dich an seiner höchsten Weisheit teilhaben lassen.“

4. Kapitel (3)

Castruccio wurde dem Dogen vorgestellt und nahm an all den glänzenden Vergnügungen teil, die Venedig zu bieten hatte. Aber schließlich kam die Zeit des Abschieds. Er würde mit Sir Ethelbert Atawel aufbrechen und Guinigi würde auf seinen Hof in den Hügeln zurückkehren. Es war ein trauriger Anlass für Atawel und Castruccio, sich von diesem guten Freund zu trennen. Vor seiner Abreise sprach Guinigi lange mit Castruccio und beschwor ihn, sich bei seiner Ankunft in England ganz auf Atawel zu verlassen.

4. Kapitel (2)

Es paßte zu Castruccios Enthusiasmus und erweiterte seinen Horizont. Aber diese Adligen waren erfüllt vom Geist der Parteiung und dem ewigen Bedürfnis, zuerst sich selbst und dann ihrer Heimatstadt Vorteile zu sichern; der Rest der Welt war ihnen egal. Sie hielten sich für den Mittelpunkt des Universums, Männer und Länder stiegen auf und stürzten – alles nur ihretwegen. So wie Galileo dafür verfolgt worden war, daß er gesagt hatte, die Erde drehe sich um die Sonne – und damit die vergleichsweise Bedeutungslosigkeit unseres Globus betont hatte –, hätten sie mit inbrünstigem Haß jeden verfolgt, der ihnen erklärt hatte, dass sie nicht besser waren als ihre Mitmenschen. Es bestand keine Gefahr, daß Guinigi ihnen solche unangenehmen Wahrheiten sagen würde. Er war damit zufrieden, sich nicht selbst von der feinen Gesellschaft blenden zu lassen, aber er bewahrte sich die Liebenswürdigkeit, die typisch für ihn war. Er paßte seine Ratschläge an die Ideen der anderen an und wenn keine Hoffnung ...

4. Kapitel (1)

Castruccio verbrachte mit seinem Freund mehrere Tage in Venedig. Guinigi und Atawel waren immer zusammen und Castruccio hatte viel Kontakt zu den venezianischen Adligen. Nach einem Jahr mit Guinigi fiel ihm der Unterschied zwischen seinem Freund und diesen Männern sehr auf. Der philosophische Verbannte besaß eine natürliche Weisheit, war frei von Vorurteilen und hegte kühne Gedanken.

3. Kapitel (34)

Jetzt stand ein Mann auf und näherte sich aus einer abgelegenen Ecke des Saales. Seine Erscheinung stand in einem krassen Gegensatz zu den sonnenverbrannten Gesichtern und den schwarzen Augen der Italiener ringsum. Er hatte ein rundes sächsisches Gesicht, jedoch mit ungewöhnlich feinen Zügen, hellblondes Haar und eine schlanke Gestalt, die mehr Eleganz als Macht ausstrahlte. Seine nachdenkliche Miene war die eines forschenden, aber sanften Geistes. Er ging auf Guinigi zu, seine Lippen zuckten, und ihm traten Tränen in die Augen, als er seine Hand nahm und sagte: „Ihr habt mich nicht vergessen?“ Guinigi erwiderte inbrünstig: „Nie!“ Die Herzen der Freunde waren übervoll, sie verließen die Gesellschaft und stiegen in die Gondel, um das Wiedersehen ungestört feiern zu können.

3. Kapitel (33)

„Ich werde nur ein paar Tage in Venedig bleiben“, sagte Guinigi zu seinem Gastgeber, „aber ich besuche Euch noch einmal, bevor ich mich auf meine Farm zurückziehe. Zunächst müßt Ihr mir sagen, wo ich Euren englischen Gast, Sir Ethelbert Atawel, finde, denn ich habe ein Anliegen an ihn.“

3. Kapitel (32)

Guinigis Lächeln hatte eine Liebenswürdigkeit, die ihn vornehmer erscheinen ließ als andere Männer, aus seinen Augen sprach Empfindsamkeit, seine raschen, ausdrucksvollen Bewegungen waren anmutig, und seine Sanftmut milderte seine Direktheit. Er stellte den Adligen Castruccio vor. Der Junge war wunderschön und wurde von den Freunden seines Beschützers herzlich empfangen.

3. Kapitel (31)

Die Gondel erreichte den Canal Grande und hielt an den Stufen eines vornehmen Palastes. Castruccio hatte keine Zeit, Guinigi zu antworten, sondern folgte ihm schweigend durch die prächtigen Zimmer mit Seidenvorhängen, Tapisserien und Fußböden aus Marmor in den Bankettsaal. Dort thronte der Schloßherr inmitten der Adligen von Venedig. Castruccios kindlichem Gemüt gab es einen Stich, als er die Aristokraten in Samt und Seide sah und dann einen Blick auf die würdige Gestalt seines Begleiters warf, der die einfache Kleidung eines italienischen Bauern trug. Aber seine Scham wich Stolz und Erstaunen, als er feststellte, daß dieser bescheiden wirkende Mann voller Respekt und Zuneigung empfangen wurde. Er wurde herzlich begrüßt, alle eilten ihm entgegen, um ihren alten Freund und Ratgeber willkommen zu heißen. Viele hatten seiner Weisheit und seinem gelassenen Mut eine Menge zu verdanken.

3. Kapitel (30)

Ich habe noch einen Grund, dich nach England zu schicken. Du hast dort einen reichen Verwandten namens Alderigo. Er hat Atawel beauftragt, Nachforschungen nach den verschiedenen Zweigen der verbannten Antelminellis anzustellen, vor allem nach deinem Vater. Da er das Ganze sehr ernsthaft betreibt, scheint es, als würdest du in England weder ohne Freunde noch mittellos dastehen. Ich bin ein Verbannter wie du und wirklich mittellos. Vor dem Bettelstab bewahrt mich nur die Arbeit, auf die ich glücklicherweise stolz bin. Ich weiß, daß es für dich nicht angenehm wäre, von Atawels Wohlwollen abhängig zu sein, aber du bist in einer anderen Lage als dein Verwandter, und ich glaube, daß er sowohl die Macht als auch den Willen hat, dir zu dienen.“

3. Kapitel (29)

Wir haben uns fast zwanzig Jahre nicht gesehen, aber die Bindung zwischen uns beruhte nicht auf ein paar zufälligen Begegnungen. Wir schätzten einander und haben uns ewige Freundschaft geschworen. Und auch wenn viel Zeit vergangen ist und sich das Leben für uns beide sehr geändert hat, werde ich alles halten, was ich ihm versprochen habe, und ich glaube, umgekehrt wird es genauso sein.

3. Kapitel (28)

Deshalb mußt du deine ritterliche Laufbahn außerhalb Italiens beginnen. Durch die Ehren, die du von einem ausländischen Herrscher empfangen wirst, wirst du in der Achtung deiner Landsleute steigen, und bei deiner Rückkehr kannst du den Zustand deines Landes neutral beurteilen und ohne die Scheuklappen der Parteiung den Weg einschlagen, den du für richtig hältst. Das habe ich im Auge – und deshalb werde ich dich mit einem alten Freund von mir bekannt machen, einem Engländer, der in seine Heimat zurückkehren wird. Ich habe ihn vor vielen Jahren kennengelernt, als er Karl von Anjou nach Italien begleitet hat. Es ist lange her, daß Sir Ethelbert Atawel nach England zurückgekehrt ist, aber als ein neuer König den Thron bestieg, wurde er – weil er sich gut mit den Sitten des Heiligen Stuhls auskannte – zum Botschafter des Papstes ernannt. Diese Mission ist nun beendet, und er hat die Alpen überquert, um seinen italienischen Freunden ein letztes Lebewohl zu sagen, bevor er weiterreist, um ei...

3. Kapitel (27)

Guinigi sagte zu dem Jungen: „Du vertraust mir dein Schicksal an, und ich muß dir den Plan erklären, den ich für dich geschmiedet habe. Dann kannst du beurteilen, ob ich all das Vertrauen verdiene, das du mir erwiesen hast. Du weißt, mein lieber Castruccio, daß das arme Italien von Bürgerkriegen zerrissen wird. Wer wie du aus seiner Heimatstadt verbannt wurde, kann nur wenig Ruhm erwerben, welcher Partei er sich auch anschließt. Er wird in politische Intrigen hineingezogen werden, und er wird nur Undank ernten, welcher Macht er auch dient. Und die Paläste der italienischen Fürsten sind Schlangengruben und schlechte Schulen für einen jungen Mann, der sich seine Unschuld und Aufrichtigkeit möglichst lange bewahren sollte, die die Welt ihm nur zu bald austreiben wird. Du wärst unweigerlich abgestoßen von der Engstirnigkeit, dem Verrat und der Betrügerei, die die Herzen und die Handlungen unserer stolzesten Adligen beherrschen.

3. Kapitel (26)

Guinigi und sein junger Begleiter schwiegen auf ihrem langen Ritt. Guinigi stand ein Wiedersehen mit den Freunden aus seiner kriegerischen Jugend bevor; vielleicht erinnerte er sich an diese Szenen. Castruccio träumte von der Zukunft, und die Ungewißheit seines Schicksals regte seine Phantasie noch an. Er malte sich aus, welche glänzende Rolle er auf dieser großen Bühne spielen würde. Schließlich erreichten sie die Küste der Lagune und bestiegen die Gondel, die sie in die Stadt bringen sollte.

3. Kapitel (25)

Sie ritten schweigend die bekannte Straße entlang, die nach Padua führte. Dort machten sie eine Rast für ihre Pferde, dann ging es weiter nach Venedig. Wer kennt Venedig nicht? Seine Straßen, die mit dem ewigen Ozean gepflastert sind, seine prächtigen Dome und majestätischen Paläste? Heute ist es nicht mehr so wie bei Castruccios Besuch – die heruntergekommenen Bewohner „kriechen den Krebsen gleich die feuchten Straßen durch“ . Damals befanden sie sich auf dem Zenit ihres Ruhms, kurz bevor die aristokratische Regierung etabliert wurde und die Leute um das kämpften, was sie verloren hatten – die Freiheit.

3. Kapitel (24)

Guinigi lächelte über Castruccios hochfliegende Pläne. Er war noch ein Junge, der selbst Schutz brauchte, und dachte doch schon ständig an die Macht, die er eines Tages haben würde, und an den Schutz, den er anderen gewähren würde.

3. Kapitel (23)

Bevor er aufbrach, küßte er den schlafenden Arrigo und sagte: „Ich fürchte, diese schönen Augen werden von Tränen getrübt werden, wenn er hört, daß ich nicht zurückkomme. Guter Junge! Ich liebe dich wie einen Bruder und hoffe, daß ich es dir eines Tages durch mehr als Worte beweisen kann.“

3. Kapitel (22)

Diese Hoffnung raubte Castruccio in der folgenden Nacht den Schlaf. Seine Phantasie, die zuletzt um Sicheln, Wagen, Weinreben und Guinigis einfache Philosophie gekreist hatte, kehrte wieder in ihren alten Bahnen zurück und damit in eine Welt, die ihm glorreicher erschien. Schäfchenwolken verbargen den Vollmond und langsam breitete sich ein mattes Licht aus. Der Tag brach an. Castruccio sah, wie die gesattelten Pferde zur Tür geführt wurden, und eilte zu Guinigi.

3. Kapitel (21)

Guinigi lächelte und antwortete: „Ich habe deine geheimsten Gedanken gelesen, ohne daß du etwas gesagt hast. Morgen machen wir eine Reise, und ich werde dich einem Mann vorstellen, der dir das ruhmreiche Leben ermöglichen wird, nach dem du dich sehnst. Also sag diesen Hügeln Lebewohl, du wirst sie für viele Jahre nicht mehr sehen.“

3. Kapitel (20)

Wieder saß Guinigi eines Abends – mit Castruccio neben sich – vor der Tür seiner Hütte und sah den Arbeitern zu, die den Wein aus dem letzten Faß abzapften. Arrigo, jetzt ein Jahr älter, half ihnen. Castruccio sagte: „Statt sechs Monaten habe ich Euch zwölf gegeben und mein eigentliches Ziel nicht erwähnt. Der Sommer war so schön, daß ich es fast vergessen habe. Aber ich kann nicht noch ein Jahr inmitten dieser Hügel leben. Ihr wißt nicht, welche Bitterkeit in meinem Herzen herrscht, wenn ich höre, wie beim Schloß die Waffen klirren – während ich meine Jugend verschwende.“

3. Kapitel (19)

Castruccio unterstützte Guinigi bei seiner Arbeit. Dann stützte sich Guinigi auf seinen Spaten und philosophierte über alles und jeden. Er brachte die blühende Phantasie des Jungen dazu, ihn auf seinen Höhenflügen zu begleiten. Für ihn trug alles im Land den Stempel göttlicher und ewiger Schönheit, er kannte jede Feldblume und konnte deren Eigenheiten beschreiben und welche Insekten ihren Nektar sogen. Er wußte über das Dasein jedes noch so kleinen Geschöpfes aus der Gegend Bescheid, einer Gegend, in der die Sonne jedem Atom Leben einhaucht, und was für die Augen gewöhnlicher Sterblicher unbedeutend war, war für ihn von besonderer Schönheit.

3. Kapitel (18)

Ihre Ernten waren reichlich. Auf die Heumahd folgte im Juni der Schnitt des Korns, und der ausgetretene Dreschboden, den Vergil beschreibt, empfing das Getreide. Dann kam die Maisernte und zuletzt die herrliche Weinlese, bei der die schönen grauen Ochsen aus der Lombardei die schwer beladenen Wagen kaum noch ziehen konnten.

3. Kapitel (17)

Hier blühten die schönsten Pflanzen, auf den Feldern reifte der Weizen. Getrennt wurden die Äcker von Olivenbäumen, Ulmen oder Pappeln, an denen sich wilder Wein emporrankte. Die Hecken bestanden aus Myrthe, deren Duft schwer in der trägen Luft des Nachmittags hing. Die Arbeiter ruhten sich aus, schliefen unter den Bäumen, eingelullt vom Murmeln der Bäche, die die Landschaft bewässerten. Abends verzehrten sie ihre Mahlzeiten unter freiem Himmel, die Vögel schliefen, aber auf dem Boden und in der Luft wimmelte es von unzähligen Glühwürmchen, zirpenden Grillen und dicken Käfern. Das Leuchten im Westen war schnell erloschen, doch durch die verblassenden Strahlen des Sonnenuntergangs segelte wie ein Boot der Mond, und die Venus, der andere Trabant der Erde, leuchtete über der Sichel. Darunter zeichnete sich dunkel die zerklüftete Silhouette des Apennin ab.

3. Kapitel (16)

Ein Jahr verging, und Castruccio lebte immer noch unter dem niedrigen Dach von Guinigi. Er stellte fest, daß dieser Adlige keine leeren Worte gesprochen hatte, als er sagte, er esse das Brot, das er gesät habe: Denn er sah ihn den Pflug führen, die Weinreben stutzen und alle Tätigkeiten eines Landbesitzers verrichten. Die schwere Arbeit eines italienischen Bauern hat etwas Malerisches. Es ist nicht so wie in nördlicheren Gegenden, in denen man Kälte, Nässe und Kummer erdulden muß, nur geringen Lohn für seine Mühen bekommt und die ständige Sorge oft damit endet, daß ein strenger Frost die Ernte zerstört. Guinigi und die anderen standen auf, wenn die Sonne aufging. Sie stieg aus dem Ozean empor und warf ihre Strahlen auf die weite Ebene.

3. Kapitel (15)

„Ja“, rief Castruccio, „Ihr habt ein ereignisreiches Leben hinter Euch und kennt es, aber ich würde lieber lebendig begraben werden, als zu leben, ohne daß man mich kennt und von mir hört! Ist es nicht der Ruhm, der die Menschen zu Göttern macht? Drängt mich nicht dazu, meine Tage in Trägheit zu verbringen, ich muß handeln, um glücklich zu sein – um überhaupt etwas zu sein. Mein Vater wollte nicht, daß ich Bauer und Gärtner werde, sondern in seine Fußstapfen trete und über sie hinauswachse. Das habe ich auch vor – und wenn ich dafür sterben muß!“

3. Kapitel (14)

Castruccio hörte ungeduldig zu und rief: „Aber wer wäre nicht lieber ein Ritter als einer dieser Bauern, deren Geist ebenso primitiv ist wie ihre Arbeit?“ „Ich nicht“, erwiderte Guinigi hitzig. „Wie verwirrt muß der menschliche Geist sein, wenn er Freude an Schandtaten hat und sie sogar der Bestellung der Felder und der Anbetung ihrer Schönheit vorzieht! Was für eine falsche Vorstellung ist es, daß das Leben eines Bauern nicht mit geistigen Leistungen vereinbar sei! Ach! Die armen Teufel, sie schuften zu sehr, um viel zu lernen, und ihre Mühsal, die nicht den Beifall ihrer Mitmenschen findet, wirkt wie eine Erniedrigung. Aber wenn ich mir das Glück der Erde ausmalen soll, sehe ich vor mir die Familie eines Bauern auf dem Feld, dessen Eigentum sicher ist und der seine Zeit mit körperlicher Arbeit und geistigen Freuden verbringt. Das ist jetzt mein Schicksal. Mein Lebensabend verläuft friedlich, ich trauere der Vergangenheit nicht nach und habe keine Wünsche auf die Zukunft, sondern mac...

3. Kapitel (13)

Guinigi hatte ein Ziel im Blick – er wollte in seinem Schüler die Liebe zum Frieden und zum Landleben wecken. Eines Tages standen sie auf dem Gipfel des Monte Selice, einem kegelförmigen Hügel zwischen Este und Padua, und Guinigi wies auf das umliegende Land. „Was für ein Paradies!“ sagte er. „Jetzt ist es noch kahl, aber im Sommer, wenn sich das Korn im Wind wiegt und die Wege von reifen Trauben übersät sind, wenn Ihr überall seht, wie glückliche Bauern ihre wunderschönen Ochsen zu ihrer leichten Arbeit führen und Sonne, Wind und Regen daran arbeiten, dem Menschen alles zu geben, was er braucht, und alles grünt und blüht – dann ist es ein Flecken Erde, an dem der Schöpfer der Welt innehalten und mit seiner Arbeit zufrieden sein könnte. Wie anders war das noch vor ein paar Jahren! Ihr habt sicher von Ezzelino gehört, dem Tyrannen von Padua. Unter seiner Herrschaft schwammen die Flüsse in Blut und die unglücklichen Bauern mußten zusehen, wie die eindringenden Soldaten ihre Felder mit d...

3. Kapitel (12)

„Ja“, sagte Guinigi, „wenn ein einziger Mann das Sagen hat, sollte er weise sein und seine Mitmenschen die Kunst des Friedens und der Liebe lehren!“ Guinigi war enthusiastisch, aber auf eine seltsame Art. Männer wie Alexander und andere Eroberer haben in dem Traum geschwelgt, die Welt zu unterwerfen und durch ihren Triumph auch den barbarischsten Winkeln Kultur zu bringen. Guinigi hoffte – vergeblich! –, mitten in den Euganeischen Hügeln den Grundstein für einen Tempel des Friedens zu legen. Er quoll über vor Liebe, die nicht nur seinem Sohn und seinem Land galt und die auch nicht nur Schwärmerei für Idealbilder der Schönheit war. Sie erstreckte sich auf seine Mitmenschen; diese glücklich zu sehen, erfüllte sein Herz mit einer Freude, wie sie nur wenige erleben. Mit seiner Phantasie, seinem Wohlwollen und seiner Bescheidenheit war dieser Mann ein Rätsel, das Castruccio nicht lösen konnte. Aber obwohl er kein Verständnis für ihn hatte, gewann er ihn lieb. Castruccio wollte mit ihm üb...